Patientensicherheit

Sichere Medikation in Pflegeheimen

Die Polypharmazie birgt Risiken für Bewohnerinnen und Bewohner in Alters- und Pflegeheimen. Das Pilotprogramm «progress! Sichere Medikation in Pflegeheimen» zeigt, wie die Medikationssicherheit in der Langzeitpflege verbessert werden kann.

Handlungsbedarf

86% der Bewohnerinnen und Bewohner von Alters- und Pflegeheimen nehmen täglich mehrere Medikamente ein und sind somit von Polypharmazie betroffen. Diese birgt grosse Gefahren. Mit jedem zusätzlich eingenommenen Medikament steigt das Risiko für unerwünschte Arzneimittelereignisse (UAE).

Problematisch ist die Polypharmazie insbesondere dann, wenn sie auf einer potenziell inadäquaten Verordnung (potentially inappropriate prescribing, kurz PIP) und/oder einer potentiell inadäquaten Medikation (PIM) beruht. Damit sind Situationen gemeint, in denen die Medikation nicht mit den Diagnosen übereinstimmt oder für den älteren Menschen ungünstig gewählt ist. Solche Verordnungen bergen erhöhte Risiken für vermeidbare UAE. 79 % der Bewohnerinnen und Bewohner von schweizerischen Pflegeheimen beziehen mindestens ein PIM.

Pilotprogramm

Das Programm hatte zum Ziel, unerwünschte Arzneimittelereignisse (UAE) in Schweizer Alters- und Pflegeheimen zu reduzieren. Es bestand aus einem Grundlagenprojekt (2016-2018) sowie einem Vertiefungsprojekt (2019-2021).

Grundlagenprojekt

Das Grundlagenprojekt diente der Bestandsaufnahme und Analyse von Medikationsprozessen in schweizerischen Pflegeheimen sowie der Identifizierung primärer Handlungsfelder. Die wissenschaftliche Evidenz für den Datenbericht lieferten Befragungen von Pflegedienstleitungen und Heim- und Hausärzten. Zudem wurden die internationale Fachliteratur (Übersichtsberichte von 2015 und 2019) und ähnliche Forschungsprojekte analysiert sowie der kontinuierliche Austausch mit Expertinnen und Experten gepflegt. Das Executive Summary des Schlussberichts fasst die wichtigsten Ergebnisse zusammen.

Vertiefungsprojekt

Basierend auf den Erkenntnissen aus dem Grundlagenprojekt wurden Qualitätsstandards für eine sicherere und bewohnerorientierte Medikation in Pflegeheimen definiert. Die Umsetzung sollte durch weitere Massnahmen und Materialien unterstützt werden. Im Jahr 2020 sollten die Umsetzbarkeit und Wirksamkeit der empfohlenen Qualitätsstandards inklusive Massnahmen und Materialien in je fünf Alters- und Pflegeheimen  in den Kantonen Zürich und Wallis getestet werden. Aufgrund der Covid-19-Pandemie konnte die Pilotierung jedoch nicht realisiert werden. Das Vertiefungsprogramm wurde deshalb per Ende Juni 2021 abgeschlossen.Die Qualitätsstandards sowie sämtliche erarbeiteten, jedoch nicht getesteten Materialien stehen auf der Website der Stiftung kostenfrei zur Verfügung. Ohne Pilotierung können jedoch keine Aussagen über die Umsetzbarkeit oder Wirksamkeit der Materialien gemacht werden. Das Executive Summary des Schlussberichts fasst die wichtigsten Ergebnisse zusammen.

Qualitätsstandards (QS)

Um das Programmziel zu erreichen, wurden in einem Konsensverfahren Qualitätsstandards entwickelt. Diese beschreiben Minimalanforderungen an den Medikationsprozess und an die Zusammenarbeit der Fachpersonen.

Qualitätsstandards (QS)

  • QS I: Die Medikation wird regelmässig und in definierten Situationen überprüft.
  • QS II: Die Medikationsüberprüfung wird strukturiert durchgeführt.
  • QS III: Die Medikation wird strukturiert monitorisiert.
  • QS IV: Alle Fachpersonen engagieren sich für eine optimale interprofessionelle Zusammenarbeit.
  • QS V: Die Bewohnerinnen und Bewohner werden aktiv in den Medikamentenprozess einbezogen.

Die Detailbeschriebe Qualitätsstandards gibt es als Kurzversion und als Langversion.

Materialien zur QS-Umsetzung

Zur Umsetzung der Qualitätsstandards wurden in Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Kooperationspartnern verschiedene Materialien erarbeitet. Diese basieren auf den im Grundlagenprojekt identifizierten Handlungsfeldern.

  1. Förderung von fachlichem Wissen und Sensibilisierung
  2. Förderung der interprofessionellen Zusammenarbeit zwischen Ärzten, Pflegepersonal und Apothekern
  3. Bekanntmachung von Hilfsmitteln, um die Qualitätsstandards umzusetzen

E-Learnings

Für alle am Medikationsprozess in Alters- und Pflegeheimen beteiligten Berufsgruppen stehen E-Learning Module zur fachlichen Weiterbildung zur Verfügung (kostenfrei). Schwerpunkt bilden die Themen Polypharmazie, potenziell inadäquate Verordnungen und Medikation sowie Informationen für die Umsetzung der Qualitätsstandards für die jeweilige Berufsgruppe. Die Module für Ärzte und Apotheker sind von den folgenden Fachgesellschaften akkreditiert: FPH (12.5 Punkte), SGAIM (1 Credit), SGKPT (2 Credits).

Ein E-Learning-Modul zur «interprofessionellen Zusammenarbeit» ergänzt die berufsgruppenspezifischen E-Learnings und kann auch separat absolviert werden. Mittels interaktiven Fallbeispielen wird die optimale Zusammenarbeit im Behandlungsteam veranschaulicht. Die Konzeption und Erarbeitung der Inhalte zur Interprofessionalität wurde 2020 mit dem IP-Health-Preis für interprofessionelle Zusammenarbeit ausgezeichnet

Übersicht und Zugänge zu den E-Learning Modulen:

Beobachtungstools für die Pflege

Pflegefachpersonen und Assistenzpersonen haben in den Qualitätsstandards eine wichtige Rolle bei der Beobachtung der Bewohnerinnen und Bewohner. Die folgenden beiden Tools sollen das Pflegepersonal dabei unterstützen, den genannten Mindestanforderungen nachzukommen. Dafür wurde eine Anleitung zur Handhabung entwickelt. 

  1. Das UAW-Tool ist eine Übersichtskarte, welche die häufigsten unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) der häufigsten verordneten Medikamente und PIM in Schweizer Pflegeheimen aufführt. Sie dient der Beobachtung und Identifikation von UAW.
  2. Das Stop&Watch-Tool ist ein Dokumentations- und Kommunikationstool, welches besonders dem Assistenzpersonal in Heimen ermöglicht, unspezifische Veränderungen bei Bewohnerinnen und Bewohnern zu dokumentieren und kommunizieren.

Anleitung und Empfehlungsbogen für die pharmazeutische Prüfung

Die Anleitung unterstützt Apothekerinnen und Apotheker, eine pharmazeutische Prüfung gemäss Qualitätsstandards durchzuführen und Empfehlungen zu verfassen. Diese können mittels Empfehlungsbogen standardisiert dokumentiert und an die Ärztin und den Arzt weitergeleitet werden.

Wissenschaftliche Kooperationspartnter

  • EOC Ente Ospedaliero Bellinzona
  • ZHAW Gesundheit

Fachbegleitgruppe

  • Kerstin Bilinski, Pflegecontrolling, Alterswohnsitz Bürgerspital St. Gallen (bis 12/2018)
  • Mélanie Bruhlhart, Apothekerin, Pharmacie interjurassienne, Moutier
  • Prof. Olivier Bugnon, Pharmacien chef Policlinique Médicale, CHUV (bis 05/2020)
  • Sabine Felber, Leiterin Pflege und Betreuung, Betagtenzentrum Emmen AG
  • Dr. med. Dan Georgescu, Chefarzt Bereich Alters- und Neuropsychiatrie, PDAG
  • Dr. med. Max Giger, Unabhängige Beschwerdestelle für das Alter, ZH/SH
  • Dr. med. Rolf Goldbach, Geriatrischer Dienst der Stadt Zürich
  • Saadet Grandazzo, Stv. Leiterin Betreuung und Pflege, Suhrental Alterszentrum AG
  • Monika Kahindi-Knecht, Fachfrau Langzeitpflege, Viva Luzern AG Rosenberg (bis 12/2018)
  • Michael Kirschner, Wiss. Mitarbeiter, Fachbereich Menschen im Alter, Curaviva
  • Christian Streit, Geschäftsführer senesuisse
  • Prof. Dr. med. Andreas Stuck, Klinikdirektor Geriatrische Universitätsklinik, Inselspital (bis 12/2018)
  • Dr. med. Florian Suter, Geschäftsführer Ärztenetz Nordwest AG
  • Carole Pelletier, Pflegefachfrau MAS in Gerontologie, ehemalige Heimleiterin
  • Carlo Vassella, Apotheker, Monte Carasso
  • Dr. Franziska Zúñiga, Institut für Pflegewissenschaft, Universität Basel

Short Facts

Laufzeit: 2016 – 2021
Finanziert durch: Bundesamt für Gesundheit BAG, Hanela-Stiftung, Qualitäts- und Forschungsfonds LOA IV/1

Meldung von unerwünschten Wirkungen (Erklärvideo von Swissmedic)

Kontakt

Dr. Alessandra Moscaroli
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
+41 43 244 14 81
moscaroli@patientensicherheit.ch

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